Der Fall „Low-Code Development Platforms”

Ein Ansatz zur Betrachtung der Herausforderungen für erfolgreiches LCDP-Enablement

In unserem letzten Blogbeitrag zu Low-Code Development Platforms (LCDPs) haben wir unter anderem zusammen erkannt, dass LCDPs einige Vorteile aufweisen. Lässt man die Vorteile gedanklich kurz Revue passieren, können LCDPs zum Beispiel programmieraverse FachbereichsmitarbeiterInnen unterstützen oder als Entlastungsmöglichkeit des IT-Fachkräftemangels nützen. Sie ermöglichen zudem beschleunigte Applikationsentwicklungen, kostengünstige Prozessautomation und domänenspezifische Toolentwicklung in allen erdenklichen Varianten. Die moderne Berufsbetitelung des Citizen-Developers vereint Fachwissen mit sozialen Fähigkeiten und technischen Entwicklungskompetenzen ohne mehrjährige Informatikausbildung.

Noch viele weitere faszinierende Vorteile würden wir finden, wenn wir wollten. Es lohnt sich wirklich über die verschiedenen chancenversprechenden Blogbeiträge der Tech-Szene und Plattformanbieter zu stöbern und über die Sinnhaftigkeit solcher Plattformen zu sinnieren. Ob man die Entwicklungstätigkeit eines Citizen Developers an sich dann noch zur „Kunst des Codens“ hinzuzählen darf, steht auf einem anderen Blatt und entzieht sich dem Fokus dieses Beitrages. Genauso entziehen wir uns in diesem Beitrag auch dem Ansinnen weitere LCDP-Vorteile zu vertiefen, da diese bereits zu genüge diskutiert werden. Dieser Beitrag wird sich vornehmlich um die Herausforderungen bei der LCDP-Nutzung drehen. Die Betrachtung der Herausforderungen bei der LCDP-Nutzung ist für uns ebenso wichtig, wie sich die Vorteile vor Augen zu halten. Allerdings noch um ein ganzes Stück spannender. Denn mit den Herausforderungen im Einsatz beginnen die Visionen über die Sinnhaftigkeit eines neuen Trends zu wanken und werden durch die Ernüchterung der knallharten Realität im Arbeitsalltag auf die Probe gestellt.

Wie kann man die Herausforderungen angehen?

Unternehmen dieser Tage erproben zunehmend dynamische und flachere Organisationsstrukturen als noch vor 50 oder 70 Jahren – zu Gunsten der MitarbeiterInnen und der Innovationskraft der Firmen. Es gilt nicht mehr das Verständnis ein Unternehmen als starres Gebilde diverser festverzahnter Komponenten von Mensch und Maschine zu verstehen, sondern betont das dynamische Zusammenspiel zwischen verschiedenen Faktoren innerhalb eines Unternehmens. Entlang dieser Dynamik ist es sinnvoll auch Herausforderungen dynamisch zu begutachten. Für die Kategorisierung der Herausforderungen eignet sich entsprechend das Socio-Technical System (STS) Modell nach Bostrom und Heinen (1977) (vgl. Abb. 1). Es beinhaltet die Perspektiven Structure und People auf der sozialen Systemseite eines Unternehmens und bildet die Technologie einer Organisation mit den Perspektiven Technology und Tasks auf der technischen Seite ab [1]. In einer kurzen Zusammenfassung könnte man es so umschreiben: Menschen (People) schließen sich innerhalb einer reglementierten Organisation (Structure) für einen höheren, meist wirtschaftlichen, Zweck zusammen. Sie verteilen ihre Aufgaben (Tasks) untereinander entsprechend der wirtschaftlichen Vorhaben des Unternehmens und nutzen dazu Technologie als Hilfsmittel (Technology).

Abbildung 1: Soziotechnisches Systemmodell von LCDPs basierend auf Bostrom und Heinen (1977b) [2].

Da wir nun über eine Kategorisierung verfügen, können wir diese Kategorisierung im nächsten Schritt auf LCDPs anwenden und anschließend betrachten, auf welche Herausforderungen wir bei der LCDP-Nutzung treffen. Wir wenden nun mal die Kategorisierungsschablone des STS-Modells auf den LCDP-Kontext an:

Im Bereich Structure analysieren wir alle organisationsspezifischen Herausforderungen. Im Bereich People die stakeholder-spezifischen, bei „Technology“ betrachten wir die plattformspezifischen und im Bereich „Task“ alle applikationsspezifischen Herausforderungen (vgl. Abb. 1). Entlang dieser Kategorisierungslogik bleibt schließlich nur noch jene Fleißarbeit übrig, die Herausforderungen aus den verschiedenen Quellen zusammenzutragen, was wir im nächsten Kapitel angehen. [1,2]

Welche Herausforderungen gibt es?

Abbildung 2: Übersicht der Herausforderungskategorien aus Wissenschaft und Praxis [2]

Wir bei BITCO³ verfolgen den Forschungsansatz der angewandten Forschung (der Kombination von Best-Practices aus dem Unternehmensalltag mit Erkenntnissen aus wissenschaftlicher Forschung). Entlang dieses Credos haben wir für die Identifikation der LCDP-Herausforderungen zahlreiche Meinungen, Wünsche, Anregungen und Wehklagen aus verschiedenen Organisationen gesammelt und mit Ergebnissen aus der aktuellen LCDP-Fachliteratur verknüpft. Wir konnten einige interessante Herausforderungen feststellen, welche auch im Detail in den angegebenen Veröffentlichungen zu finden sind [1,2]. Die Herausforderungen wurden entlang der Bereiche des STS-Modells klassifiziert und es wird ersichtlich, welche Probleme eher in der Praxis bzw. vornehmlich in der Forschung diskutiert werden (siehe Abb. 2). Betrachten wir nun die Herausforderungen kurz im Überblick (siehe Abb. 3):

Als erstes vertiefen wir die technische Systemseite des STS-Modells und beginnen mit dem Bereich Technology. Hier finden sich vier große Herausforderungskategorien wieder. Die erste ist die LCDP-Initialization und beschreibt Herausforderungen bei der Identifizierung einer geeigneten Plattform, geeigneter Kooperationspartner und Erhebung entstehender Kosten bzw. Wertschöpfung durch den LCDP-Einsatz. Wie in Abbildung 2 zu erkennen ist, beschäftigt sich besonders die Praxis mit Herausforderungen dieser Art. Dabei ist anzumerken, dass die Einführung und Nutzung der LCDPs sehr von der individuellen Organisationsstruktur des jeweiligen Unternehmens abhängt. Die zweite Herausforderungskategorie innerhalb der technischen Systemseite befasst sich mit der Platform Quality. Derartige Herausforderungen beinhalten Schwierigkeiten bei der Abstraktion von Realsituationen, Benutzerfreundlichkeit, funktionale Einschränkungen oder Skalierbarkeit der Plattformen. Die Forschung scheint hier ein genaues Auge drauf zu werfen, wie die Plattformqualität gesichert werden kann. Die dritte Herausforderungskategorie beschäftigt sich mit Security & Compliance-Herausforderungen, also etwa Zugangsregulation oder Sicherheitsrisiken der Plattformen. Zu guter Letzt beschreibt die vierte Kategorie Integration, Migration & Interoperability sämtliche Herausforderungen bei der Einbindung, Einführung oder Kompatibilität der Plattformen in bestehende IT-Infrastrukturen. Auch diese beiden Herausforderungstypen werden bislang eher in der Fachliteratur betrachtet. [2]

Wechseln wir in das zweite technische STS-Feld der Tasks. Hier ist vor allem die Herausforderungskategorie des Application Lifecycle Managements ein Grund für Grübelei. Es stellen sich hierbei Fragen rund um die sinnvolle Einbettung einer solchen Plattform in den alltäglichen IT-Betrieb eines Unternehmens. Wie verläuft die Applikationsentwicklung? Wie wird getestet? Wie werden Applikationen veröffentlicht? Alle jene und noch weitere Fragen, welche bei etablierter High-Code-Programmierung üblicherweise bekannt sein sollten, müssen in einem LCDP-Kontext gegebenenfalls neu diskutiert werden und in Guidelines festgehalten werden. Solche Fragestellungen sind zwar für den alltäglichen Betrieb wichtig, finden aber in den Diskussionen der Praxis oder Forschung bisher noch wenig Aufmerksamkeit. [2]

Auf der sozialen Systemseite steigen wir in die STS-Kategorie People ein. Hier beschäftigen wir uns etwas salopp formuliert wieder hauptsächlich mit unserer eigenen Inkompetenz und dem Umgang miteinander. Konkreter sind hier die Herausforderungskategorien Knowledge und Culture erkennbar. Es handelt sich hier um klassische Herausforderungen der Wissens- und Begeisterungsvermittlung für entsprechende Technologien, Unterstützung und Förderung von MitarbeiterInnen oder die effiziente Gestaltung der Zusammenarbeit. Nicht überraschend beschäftigen sich hier sehr viele Unternehmen mit möglichen Kollaborations- oder Schulungsansätzen, um eine gelungene LCDP-Nutzung zu gewährleisten [2].

Im letzten der vier STS-Bereiche, der Structure, finden sich mehrere kleinere Herausforderungskategorien. Viele werden auch allgemein in der Fachliteratur im Kontext des Governance-Begriffs diskutiert, könnten allerdings noch detaillierter unterteilt werden. Im Beitrag von Prinz et al. (2022) wird sichtbar, dass die Unterbereiche sich im Wesentlichen in (1) Processes, (2) Roles and Responsibilities und (3) Relational Mechanisms unterteilen lassen und entlang dieser Unterteilung auch häufiger in der Praxis diskutiert werden. Beispiele für typische Structure-Herausforderungen sind etwa die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen IT- und Fachbereichen im Low-Code-Kontext oder die Vergabe von neuen organisationalen Rollen/Verantwortungen [2]. Unserer Erfahrung nach ist für die Entscheidungsfindung der LCDP-Governance-Fragen ein adaptiver Governance-Ansatz sinnvoll. Ein solcher Ansatz teilt die in LCDPs entwickelten Applikationen je nach Kritikalität und Komplexität in verschiedene Verantwortungs- oder Qualitätsklassen ein. Dadurch ist es je nach Situation (adaptiv) möglich, besonders unternehmenskritische Applikationen entsprechend umsichtiger zu behandeln als beispielsweise Anwendungen für einzelne Personen. Außerdem hilft ein adaptiver Ansatz der IT und den Fachbereichen sich überschneidende Verantwortungsfragen zu klären. So können zielgerichtet Unstimmigkeiten, Entscheidungsunsicherheiten oder Verantwortungsstreitigkeit bzw. Mitarbeiterüberlastung vermieden werden.

Abbildung 3: LCDP-Herausforderungen nach Prinz et al. 2022 [2]

Abschließend betrachtet stehen Unternehmen sicherlich vor vielen Herausforderungen bei der Nutzung einer LCDP. Die individuellen Ansätze und Unternehmensstrategien im Umgang mit neuen Technologie-Trends macht eine generische Lösung der einzelnen Herausforderungen fast unmöglich. Allerdings hilft die oben dargestellte Strukturierung der Herausforderungen enorm, potenzielle Stolpersteine auf dem Weg der LCDP-Befähigung des Unternehmens zu identifizieren. Zudem schafft der adaptive Governance-Ansatz die Herausforderungen angemessen und situativ zu bewältigen, ohne sich in der Komplexität der Herausforderungen zu verlieren. Pauschal kann man also festhalten: LCDPs sind eine hervorragende Möglichkeit Modernisierung in die Fachbereiche zu bringen, sollten aber auf keinen Fall unbedacht ohne Abstimmung eingeführt werden. Eventuelle Versäumnisse bei der Erstellung klarer Richtlinien im Umgang mit LCDPs und damit im Nachhinein verbundene Korrekturen können in den IT-Abteilungen der Unternehmen mehr Aufwand und Kopfschmerzen verursachen, als den LCDP-Einsatz direkt von Anfang an zu begleiten. Es wäre doch bedauerlich in Anbetracht der vielversprechenden Möglichkeiten, die durch LCDPs geschaffen wurden, diese Potenziale durch mangelnde Spielregeln zu versperren, oder? Entlang unseres adaptiven Governance-Ansatzes ist es uns bereits in verschiedenen Arbeitsmodi gelungen Unternehmen bei der LCDP-Einführung erfolgreich zu begleiten. Egal ob individuelle LCDP-Strategie-Projekte oder der Austausch mit gleichgesinnten Unternehmen im entspannten Workshop-Setting: nicht nur die Forschung, sondern auch dessen Einsatz in der Praxis hat bereits gezeigt, dass eine strukturierte Low-Code-Nutzung möglich ist. Sollten Sie also mit dem Gedanken spielen Low-Code selbst für Ihre Organisation zu erproben, dann unterstützen wir gerne mit unseren Erfahrungen.

Literatur:

[1] Prinz, Niculin, Christopher Rentrop, and Melanie Huber. „Low-Code Development Platforms-A Literature Review.“ AMCIS. 2021.

[2] Prinz, Niculin, et al. „Two Perspectives of Low-Code Development Platform Challenges–An Exploratory Study.“ PACIS 2022, Pacific Asia Conference on Information Systems, July 5-9, 2022, Virtual Conference. Vol. 235. 2022.

Bitte zitieren als: Bitco³ – Tim Klos, Niculin Prinz (2023). Der Fall „Low-Code Development Platforms“ -Ein Ansatz zur Betrachtung der Herausforderungen für erfolgreiches LCDP-Enablement – 02.05.2023. Online verfügbar unter https://bitco3.com/?p=13348.

Bildquellen: Pixabay (https://pixabay.com) & Literatur

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